Frühstücks-Platz |
Der Zweite Tag:
Habe meine erste Nacht in
einem Knast gut überstanden. Das Bett war in Ordnung und mal wieder kalt
waschen ist auch eine lang vergessene Erfahrung. Etwas
gewöhnungsbedürftig ist die Toilette direkt neben dem Bett.
Geträumt habe ich auch eine ganze Menge Blödsinn. Scheinbar nimmt
mein Unterbewusstsein die Erfahrung doch nicht so leicht wie ich es
mir selber einrede will. Frühstück gibt es dann im Innenhof bei
wieder schönstem Wetter.
Orangerie mit "Möhren" |
Wir machen uns auf den
Weg Richtung Orangerie und Karlsaue. Die Karlsaue ist die
Innerstädtische Parkanlage und von der Fläche etwa so groß wie der
Hamburger Stadtpark. Im Westpavillion der Orangerie fangen wir mit
dem Film bzw. den drei parallel und nebeneinander laufenden Filmen
des finnischen Künstlers Mika Taanila an. Beeindruckend - mit
ungewöhnlichen Einstellungen zeigen die Filme mit dem Titel „The
Most Electrified Town in Finland“ (2004 bis 2012) den Bau eines
Atomkraftwerkes. Im Weiteren sehen wir Werke von David Link und
Jeronimo Voss. Bei beiden Künstler basiert das Werk auf technischer (Link) bzw. astronomischer (Voss) Grundlage. Damit
verschließt sich mir bei beiden Künstlern der
tiefere Zugang. Es wäre sicherlich interessant gewesen, sich mit einem
„Sachverständigen“ über die Werke auszutauschen.
Aus der heraus getreten
befinden wir uns direkt in der Karlsaue. Wir verständigen uns aber darauf, erst am nächsten Tag den Park in Angriff zu nehmen. Einen Moment wollen wir dann doch noch bleiben. Drei Werke sind in direkter Sichtweite und wir bringen es
nicht über das Herz, sie einfach links liegen zu lassen. Zuerst begeben wir uns zu dem Bassin auf der Wiese vor der Orangerie. Der mit Wasser gefüllte und etwa
4qm große „Teich“ beherbergt eine sich in gleichmäßigen
Rhythmus bewegende Welle. Im Begleitbuch wird auf Seite 240 das Werk
von Massimo Bartolini folgend beschrieben: „ Ihre endlose
Wanderung, ein in sich bewegte Form symbolisiert ewige Verwandlung
und lässt uns zugleich innehalten – die Welle wandert
nirgendwohin, läuft niemals aus. […] Die innere in sich
geschlossene Bewegung des Wassers, fließend und doch in sich zurück
gewendet, steht für den endlosen Kreislauf des Lebens.“ Ein
großartiges Schauspiel auf kleinstem Raum (Ein Video gibt es hier:
Wave). Es ist eines meiner Highlights des Tages.
Der „Doing
Nothing Garden“ von Song Dong wirkt dagegen schon durch seine Größe. Ein
Berg mitten auf der Wiese der Karlsaue, aufgetürmt aus Schutt und
organischen Abfällen. Mittlerweile aber als ein Hügel mit wilder
Wiese zu erkennen und mit Schriftzügen aus Leuchtröhren bestückt.
Zum Schluss schauen wir uns noch den
„Wald in Bewegung“ von Maria Loboda an. Eine Baumreihe (bestehend aus etwa
20 Zypressen in orangefarbenen Töpfen), die sich in militärischer
Formation jede Nacht etwas weiter der Orangerie nähert. Höchst unterhaltsam war
in dem Zusammenhang der Besuch einer Grundschulklasse. Die
Lehrerin erklärte den Kindern die mobile Installation erst mit ihrer
eigenen Geschichte. Unter dem Hügel (dem von Song Dong) würde ein großes weißen Kaninchen wohnen und dieses verstecke jede Nacht seine Möhren
woanders im Park (die Zypressen mit ihren Töpfen sehen von weiten wirklich
aus wie im Boden steckende Möhren). Danach erklärt sie dann die
„wahre“ Geschichte der Installation und schließt mit den Worten
„aber ich finde meine Geschichte besser!“
Deutsches Kulturgut? |
Die Karlsaue und in der Mitte "Der Baum" |
dTOUR - angelehnt an den Begriff Detour (Umleitung) |
Für um 12 Uhr haben wir uns
für die dTour (Führung durch die Documenta Halle und die Neue
Galerie) angemeldet. Bis dahin ist noch etwas Zeit und ich schaue mir
noch das vom Umfang übersichtliche Ottoneum an. Hier hat mich die Arbeit von Amar Kanwar bewegt, ein
Zusammenspiel von Buch und Film. Auf Bücher, die mit wenigen
Zeichnungen auf einem Sockel liegen, wird von oben mit einem Beamer
ein Film projiziert. Der Film ist fortlaufend und verändert sich,
aber auch ich greife ein, indem ich die Blätter des Buches weiter
blättere. Die zweite Arbeit die ich hier erwähnen möchte sind die
Skulpturen der Bildhauerin Aase Texmon Rygh aus Norwegen. Sie
beschäftigt sich mit verschiedensten Materialien immer wieder mit
der Unendlichkeit und eben mit dem Zeichen ∞ (www.rygh.org)
Guerilla Knitting auch in Kassel |
Wir
treffen uns mit unserer dTour Gruppe in der Nähe der
Documenta-Halle. Etwa 15 Leute und eine Begleiterin, die gleich
am Anfang mitteilt, dass es sich hierbei nicht um eine klassische
Führung sondern um ein Begleitung durch die Ausstellung handeln würde. Das bringt gleich eine der dTour-Mitläufer auf den Plan: "Wenn ich hier nichts von den Konzepten der Künstler höre, dann kann ich auch alleine gehen" (sie ist dann doch bis zum Ende der Tour geblieben). Das
Thema dieser zweistündigen dTour ist „Unterbrochene Objekte: Was
bleibt von den Dingen“.
In der Documenta Halle sehen wir zuerst die abgedeckten Zeichnungen von Gustav Metzger und dann den Raum mit dem bildnerischen Werk der Schriftstellerin Etel Adnan. Ihr Bildmotiv ist meist ein Berg, den sie direkt aus ihrem Fenster sehen kann. Und wenn sie diesem Berg eben so lieben würde, warum sollte sie ihn nicht auch immer und immer wieder malen - so die Künstlerin selber. Guter Ansatz!
In der Documenta Halle sehen wir zuerst die abgedeckten Zeichnungen von Gustav Metzger und dann den Raum mit dem bildnerischen Werk der Schriftstellerin Etel Adnan. Ihr Bildmotiv ist meist ein Berg, den sie direkt aus ihrem Fenster sehen kann. Und wenn sie diesem Berg eben so lieben würde, warum sollte sie ihn nicht auch immer und immer wieder malen - so die Künstlerin selber. Guter Ansatz!
Das Erste was mich in den
Räumen der Documenta-Halle wirklich bewegt, ist das aus vier überdimensionalen Bildern bestehende Werk von Julie Merethu. Zeichnungen bzw. Bilder
mit dem Motiv von Fassaden (wie Architekturzeichnungen) und als
Kontrast darüber abstrakte Zeichnungen.
Ein sehr beliebter Ort bei
den Besuchern ist der Raum von Yan Lei. Er hat 360 Bilder in ebenso
vielen Tagen mit unterschiedlichsten Motiven bemalt. Diese hat
er angeblich wahllos aus dem Internet gezogen. Ein bis drei „fertige“
Bilder werden pro Nacht abgeholt und in einem in der Nähe liegenden Autowerk
mit Autolack behandelt und wieder in den Raum gehängt. So sind in dem
Raum jetzt am Ende der dOCUMENTA (13) nur noch wenige Bilder mit gegenständlichen Motiven zu sehen. Die Mehrzahl der Bilder sind nun übermalte Lackbilder. Mehrere Dinge in diesem Werk sprechen mich
sehr an. Das Übermalen als Prozess (es tut mir zum Teil in der Seele
weh), das aus einem Zustand ein anderer wird (ich liebe lackierte
Flächen) und die Frage, ob das Bild denn nicht mehr da ist? Es ist
da, aber eben nicht mehr sichtbar, aber ist es dann wirklich noch da?
Spannende Fragen, wunderbares Konzept – und hier passt die
Fragestellung der dTour wie die Faust aufs Auge!
Das letzte was ich
noch aus der Documenta Halle mitnehme sind die betenden Motoren von
Thomas Bayrle. Maschinen die beten! Mehr muss ich nicht sagen!
Zeitstrahl von Geoffrey Farmer in der Neuen Galerie |
Auf
dem Weg zur Neuen Galerie wird schnell klar, es kann nur noch
eine kurze Einführung geben, denn die Zeit ist schon recht
fortgeschritten. Wir fangen im Untergeschoss an, welchen ich hier nicht weiter kommentieren muss, denn die Kunst dort
spricht mich nicht wirklich an. Ob es nun an den Werken, den Themen
oder meinem langsam mit Eindrücken voll gestopften Kopf liegt, ist
nur schwer zu sagen. Im Obergeschoss (Im Erdgeschoss ist die feste
Sammlung zu sehen - unter anderem mit mehren Objekten von Beuys) geht
es weiter. Meine Höhepunkte in dieser sehr großen
Ausstellungseinheit waren der Räume mit der Musikbox, den
Betonklötzen und der Raum mit dem Zeitstrahl.
Im
ersten Raum des Obergeschosses liegen Betonklötze. Diese Klötze
sind Nachbildungen von Gegenständen, Raumecken, Fußbodenabschnitten
aus dem Aula Bunker in Rom. An diesem Ort wurden die weltweit
beachteten Gerichtsprozesse gegen die Rote Brigade in den 70er Jahren
abgehalten. Nun wurde der Raum wegen Umbaumaßnahmen komplett
entkernt. Vorher aber hat die Künstlerin Abdrücke von besagten
Stellen abgenommen um so diese Betonklötze gießen zu können. Mit
den Themen und Fragen „was bleibt“, wie wichtig sind Orte für
die Geschichte?“ und „was hält unsere Erinnerung“ spielt dieses
Werk hervorragend.
In
der Rauminstallation „Die Gedanken sind Frei“ von Susan Hiller
steht eine Musikbox als zentraler Punkt an der Seite des Raumes. Die
Box spielt von Besuchern angewählte Lieder. Die Lieder in der Box
aber beinhaltete nur Protestsongs – von Chanson bis hin zu Punk-Musik ist alles vertreten. Alle Texte die angespielt werden können
zusätzlich im Raum an der Wand nachgelesen werden oder per Kopfhörer
mitgehört werden.
Der
begehrteste Raum in der Neuen Galerie - und vielleicht auch von der
ganzen dOCUMENTA (13) – ist der Zeitstrahl von Geoffrey Farmer. Er
hat aus unzähligen Life-Magazinen aus dem Jahren 1935 bis 1985
Bilder ausgeschnitten und diese wie Schattenspielfiguren an kleine
Stöckern befestigt. Diese Unmengen an Figuren sind wie ein
Zeitstrahl in einer länge von mehr als 40 Metern angebracht und von
beiden Seiten begehbar. (Hier gibts weitere Infos zum Künstler und Bilder
des Exponats: hr-online)
Fazit: Beeindruckend
allemal!
Herbfallendes Wasser |
Erstmal Pause. Meiner
Meinung war die Alsterwasser/Radler Grenze immer kurz hinter
Göttingen. Aber auch hier in Kassel ist der norddeutsche Begriff
für das erfrischende Getränk in Benutzung. Weil wir nur etwas lüttes Essen wollen gehen wir in
Richtung Zentrum und holen uns beim Bäcker eine Kleinigkeit. Danach
setzen wir uns mit Kaffee und Brötchen an einen Brunnen, der am Anfang etwas
skurril anmutet. Wir werden durch ein Schild aufmerksam das er
scheinbar etwas mit der dOCUMENTA (13) zu tun hat. Aber eigentlich
ist der Brunnen zu alt, dass er zur aktuellen Ausstellung gehören
könnte. Nach dem einholen der Infos aus "dem Buch" und durch eine
Anwohnerin, die wohl die etwas planlosen Gesichter schon kennt,
wissen wir auch mehr. Der Aschrott-Brunnen des jüdischen
Unternehmers Sigmund Aschrott wurde von den Nazis zerstört. Der
Künstler Horst Heisel baute 1987 ein Replik des original Obelisken aus Beton und rammte ihn Kopfüber in den Boden. Dieser Obelisk ist hohl und
nun der Abgrund, in welches das Wasser fällt. Der Betrachter
kann den Brunnen, der mit Gittern abgedeckt ist, betreten und in
die Tiefe schauen, wie das Wasser tosend herab saust. Auch zur
dUKUMENTA reinigt der in Kassel lebende Heisel in einer öffentlichen
Zeremonie den Brunnen. (Mehr zum Brunnen gibt es hier auf Wikipedia.de)
Die weiteren „abgelegenen
Orte“ suchen wir nun im Anschluss auf. Der aktuelle Superstar der
Kunstszene Tino Sehgal überzeugt mit seinem musikalischen Werk im
dunklen Raum. Die Besucher bewegen sich unsicher in den Raum, werden
durch Musik umgarnt und zwischenzeitlich von den Sängern weiter in den Raum
geführt. Erst nach etwa 10 Minuten tritt bei vielen der
Gewöhnungseffekt ein und es können Umrisse der Menschen im Raum
wahrgenommen werden. Schön ist auch, dass in dem Begleitbuch die
Seite in der Tino Sygall beschrieben werden soll einfach fehlt. Dem
Wunsch des Künstlers, der nichts fotografiert und keine
schriftlichen Aufzeichnungen seines Werkes hinterlassen möchte, wird
so Rechnung getragen
Direkt daneben wird das
aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts stammende Hugenottenhaus
renoviert. Gebaut wird mit Materialien von Abrisshäusern aus Kassel
und Chicago, dem Heimatort des verantwortlichen Künstlers Theaster
Gates. Die Handwerker sind Teilnehmer an Arbeitsförderungsprogrammen
aus den beiden Orten. Sie arbeiten im Haus aber wohnen dort auch! Das
Haus wird neben des Restaurierung auch für
Diskussionsveranstaltungen und Musikabende verwendet.
Ich mache mich danach
noch alleine auf den Weg zu den Weinbergterrassen und dem „Bunker
im Weinberg“. Ein Bunker im allgemeinen schon ein faszinierender Ort,
wird gerade durch die Video-Installation von Allora & Calzadilla noch spannender. In dem Film wird versucht auf einer prähistorischen
Flöte zu spielen. Zuhörer ist ein Gänsegeier, ein Nachfahre eines
der ältesten Geschöpfe dieser Welt. So abgedreht die Idee, so
wirkungsvoller der Film in diesem Bunker!
Die Weinbergterassen
werden alleine von Adrián Villar Rojas bespielt. Der Bildhauer
arbeitet zwar an Skulpturen, diese sind aber anders als gewohnt nicht für die Ewigkeit
gebaut. Sie werden aus Stahlträgern, Zement, Holz, Stein hergestellt und
mit nicht gebrannten Ton überzogen. Die Skulpturen
entstehen vor Ort und können nicht woanders hingebracht werden. Die
einzelnen Werke wirken auf der einen Seite durch ihre teilweise zerbrochene
Oberflächenstruktur extrem empfindlich. Auf der anderen
Seite mit ihrer Masse und Größe, wie für die Ewigkeit gebaut. Die Objekte
zeigen Abstraktes, aber auch sehr
gegenständliches. Personen beim Kampf oder gemeinsam im Boot.
Beeindruckende Skulpturen und meine absolute Entdeckung dieser
dOCUMENTA (13).
Von wegen, die dOCUMENTA (13) wäre auf den Hund gekommen: Eine Katze umgarnt eine Skulptur von Adrián Villar Rojas! |
Blick über Kassel |
Wir treffen uns wieder am
Baum von Guiseppe Penone (wird im dritten Teil noch ausführlicher behandelt) und gehen mit ein paar Bieren zur Wiese vor der Orangerie.
Die Abenddämmerung kommt und wir lassen den Tag ausklingen. Wir
überlegen wie wohl ein Film aussehen könnte. Thema wären die ganz „normalen“ Personen, die im Hintergrund
dieser documenta stehen. In dem Film wären die Hauptpersonen zum
Beispiel der Hausmeister (der jeden Tage Bilder von Yan Lei abnimmt
und zum überlackieren fährt), die beiden Helfer die jeden Abend das
Wasserbassin von Massimo Bartoli mit Bauzäunen sichern oder die
Aufsichten, die aufpassen, dass die Schlange vor dem Raum von
Geoffrey Farmer nicht zu lang wird.
Streetart |
Die Orangerie und im Vordergrund der abgesicherte Wasserbassin von Massimo Bartoli |
Zum Abschluss des Tages gibt es noch etwas Pasta bei „unserem Stammitaliener“ an der Karl-Branner-Brücke (bloß nicht noch mehr Neues!). Fertig! Ende! Alle! Was für ein schöner und spannender Tag!
Gute Nacht |
dOCUMENTA (13) Teil 3 von 3
Nochmal die gleich Anmerkung wie in Teil 1: Es ist natürlich nur ein bescheidener Versuch das zu beschreiben, was ich bei dieser großen Kunstausstellung gesehen, erlebt oder auch gefühlt habe. Zudem sind mir meine Rechtschreibfehler, grammatikalischen Ungenauigkeiten und Sprünge in den Zeiten mittlerweile liebgewonnene Begleiter geworden.
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