6. September 2012

dOCUMENTA (13) Teil 1/3


 
Morgens um 8 sind wir zu zweit auf der Fahrt nach Kassel und lassen uns auf drei Tage dOCUMENTA (13) ein. Wir sind gespannt was uns erwartet. Beides Erstlings-Documenta Besucher. Ich bin interessiert an den Ideen, der Umsetzung, den Fragen die kommen werden, aber vorallem auf das was uns überhaupt erwartet. Ich bin mir sicher, dass es für mich in den drei Tagen eine Überdosis Kunst und Kultur geben wird. Die Überforderung als Inspiration?! 


Man walking to the sky von Jonathan Borofsky auf dem Bahnhofsvorplatz (Skulptur der documenta IX/1992)

Wir kommen am Hauptbahnhof bzw. Kulturbahnhof bei bestem Sommerwetter an und sind gleich mittendrin. Übersichtlich ist die Beschilderung zur Kasse, zur Gepäckaufbewahrung und zu den ersten Ausstellungsorten. Zweitagesticket für 35€ (ein Dreitagesticket gibt es leider nicht) ist schnell gekauft. Die Garderoben sind außerhalb der Ausstellungsorte, aber direkt in der Nähe. Zudem sind sie auch auf größeres Gepäck eingestellt. Schon jetzt bemerken wir überall eine ehrliche Freundlichkeit, die uns die nächsten Tage begleiten wird. 


Nordflügel mit Bahnsteig



Wir fangen im Sudflügel des Kulturbahnhofs an. Strommasten und Keramikkacheln aus Zypern des Künstlers Christodoulos Panayiotou zeigen mir, dass ich sicherlich noch ein wenig brauche um mich auf die Ausstellung insgesamt einzustellen. Moderne Kunst ist eben nicht Popart und eben auch nicht gefällig. Im Südflügel hat mich dann der sehr bedrückende und radikale Raum von Rabih Mroue in seinen Bann gezogen. YouTube Videos mit Szenen vom Bürgerkrieg in Syrien als Daumenkino (plus Tonspur, die man selber parallel anstellen muss). Dazu großformatige unscharfe Foto-Porträts von Menschen die gleich jemanden erschießen werden, die „Fotografen“ sind mit Handykameras die Opfern selber. Eine Installation in dem abgedunkelten Raum, die einen erschauern lässt. Zudem entsteht eine krasse Wirkung mit der Außenwelt. Beim verlassen des dunklen Raumes sah ich als erstes überall lachende Menschen im Sonnenschein. Eine Situation die so gar nicht zu dem gerade eben erlebten passt. 
In diesem Flügel des Bahnhofes ist von meiner Seite noch die „Modekollektion“ von Seth Price zu erwähnen. Die großen genähten Briefumschläge aus groben Leinenstoff beeindrucken aus sich her raus. Sie erinnern an Zwangsjacken, durch ihre weiße Farbe aber auch rein und sauber! 

Südflügel (die Lagerhallen links und rechts werden zum größten Teil bespielt)

Im Nordflügel des Bahnhofs werden nach einer kurzen ersten Pause („erstmal etwas sacken lassen“) die nächsten Installationen in Angriff genommen. Die Lager- und Umschlagshallen des ehemaligen Fernbahnhofs sind wie geschaffen für große und raumfüllende Kunst. Die erste Installation die wir besuchen ist von Michael Portnoy. Sie beeindruckt im ersten Moment durch ihre Masse, aber bewirkt dann bei mir keinen längeren Nachklang. Portnoy verwirklichte einen großen Lehmhügel, einem Vulkan ähnlich, in dessen Krater eine Art Gameshow(?) nachgestellt sein soll. 
Der nächste Raum hat mich dann wieder sehr in seinen den Bann gezogen. István Csákány baute aus Holz eine komplette Näherei nach, inklusive aller Kabel, kleinsten Hebel und Neonröhren. Zudem stellt sie Anzüge an Schaufensterpuppen dem gegenüber. Der Ausspruch „was für eine Friemmelarbeit“ passt in Bezug auf die feine Arbeit recht gut. Der Raum von Haegue Yang mit den sich immer wieder schließenden und öffnenden Jalousien erinnern wirklich wie im Katalog beschrieben an eine „geisterhaft industrielle Choreografie“ Der stillgelegte Rangierbahnhof könnte alleine schon reichlich Geschichten erzählen. Durch die Installation aber entsteht eine ganz besondere und verdichtete Atmosphäre. 
Am Ende der Hallen besuchen wir die improvisierte Gastroeinheit. Erinnert etwas ans Dockville und seine Bretterbuden.
Zum Abschluss im Nordflügel besuchen wir das "Museum" welches kein Museum. Es erinnert an jeder Ecke daran das es eigentlich eines ist, aber ich sehe vorallem was alles "nicht stimmt". Zum Beispiel steht ein Bild auf dem Boden hinter einem Sockel oder ein anderes Bild hängt um eine Ecke und kann daher nicht voll gesehen werden. Für mich ein schönes Spiel mit der Sichtweise auf Institutionen: Wie müssen diese sein bzw. was denken wir, wie sie zu sein haben!

Der ehemalige Güterbahnhof

Gastrobereich am Ende des Nordflügels

Es wird Zeit Richtung Stadt aufzubrechen und unser Quartier in Besitz zu nehmen. Dieser Ort ist auch etwas ganz besonderes, wir schlafen im ehemaligen Kasseler Knast Elwe. Dort angekommen werden wir freundlich begrüßt. Wir wissen das „es kein Wellness Hotel“ ist (wie nochmal am Eingang als Info angeschlagen), sondern ein ehemaliger Knast. Die Einzelzelle besteht aus einem etwa 7qm großen Raum, bestückt mit einem Metallbett und einer dünnen Knastmatratze. Waschbecken (nur kaltes Wasser), Toilette, Stuhl und Tisch komplementieren das „Zimmer“. 

Zelle und jetzt Hostelunterkunft im "Elwe"


Zurück zur dOCUMENTA! In der „Unteren Karlsstraße“ (oder das "Haus einer nie realisierten Moschee") geht unser Besuch in Kassel weiter. Das Werk Walid Raad füllt den ganzen Raum. Er erzählt Geschichten aus dem nahen Osten und bereitet diese künstlerisch mit verschiedenen Medien auf. Die Geschichten wirken zum Teil fast unglaublich, oder eben auch nicht wenn man sich vor Augen hält was verrücktes immer wieder in dieser Welt passiert. Der Raum alleine ist schon sehnswert. Die Raumteiler sind an den Ecken und Kannten aufgesplittert und hängen nur noch an Metallgstänke an den massiven Stahlpfeilern. So kann man zwar die Wand als diese erkennen aber auch einen Blick in den nächsten Gang werfen. Im Nachbarraum gibt es eine Werk-Erklärungstext, der aber kein Werk erklärt sondern selber das Werk und somit die Kunst sein will. Ein spannender Ansatz, der einen mit diesem leicht humoristischen Seitenhieb zurück lässt.



Über den Friedrichsplatz geht es zum Fridericanum. Dort erwarten uns im Untergeschoss vor allem leere Räumlichkeiten. Stetiger Wind wirkt angenehm und bringt Erfrischung an diesem warmen Tag. Trotzdem sind wir etwas überrascht über diese Leere im Untergeschoss. Erst beim Blick in das „grüne Buch“ werden wir es gewahr, das genau dieser Wind das Kunstwerk ist! Und genau das ist was die Macher und der Künstler wollen. Der englische Künstler Ryan Gander ist mit drei Werken auf der ganzen dOCUMENTA vertreten. (Mit dem grünen Buch ist das „Das Begleitbuch“ gemeint. Es hat diesen Namen wirklich verdient, es begleitet wirklich durch die Tage.) Zum Nachdenken regt das Werk oder die Dokumentation von Khaled Hourani an. Er setzt sich filmisch mit der ersten Ausstellung eines Werks von Picasso in Palästina auseinander. Was mich noch ergriffen hat, waren die steinernen Bücher von Michael Rakowitz 

Der erste Tag war damit vorbei und der Kopf ist schon voll von Eindrücken, Gedanken, Gefühlen, Ideen und so vielem anderen. Die Füße schmerzen und der Bauch knurrt. Beim italienischen Restaurant (direkt an der Fulda) noch ein paar Nudeln und dann ab auf die Zelle. 

Abschluss Tag 1 der dOCUMENTA (13)
Nächtliches Kassel

dOCUMENTA (13) Teil 2 von 3
dOCUMENTA (13) Teil 3 von 3

Anmerkung: Es ist natürlich nur ein bescheidener Versuch das zu beschreiben, was ich bei dieser großen Kunstausstellung gesehen habe, erlebt oder auch gefühlt habe. Zudem sind mir meine Rechtschreibfehler, grammatikalischen Ungenauigkeiten und Sprünge in den Zeiten mittlerweile liebgewonnene Begleiter geworden.

6 Kommentare:

  1. Sehr schöner Artikel, freue mich schon darauf bei einem Bier über die Documenta zu plaudern!

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  2. Da freue ich mich auch drauf! Über Documenta schnacken ist groß!

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  3. Hi. Da kann man noch mal über die d13 wandern. Ich hab Deinen Beitrag gleich bei mir im http://zahnpflege-spezialist.blogspot.de/ empfohlen und auch selbst mal ein Bild "Zahnpasta auf der documenta" hochgeladen.



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  4. Danke für die Blumen! Schon spannend aus welcher Sicht man die documenta auch sehen kann. Nach dem Werk von Geoffrey Farmer war ich schon extrem geflasht, an die Zahnpasta kann ich mich daher wohl nicht mehr erinnern. Danke fürs empfehlen auf Deinem Blog!

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  5. Die Zahnpasta war im ersten Drittel der "Rückseite", die Zahnbürste schon fast gegen Ende. Der Fund war ganz zufällig. Ich wollte eigentlich nur kurz eine Bahnreise in Kassel unterbrechen, um schon mal einen Documenta-Vorabblick mit Abendticket zu bekommen. Dann fand ich die Ausstellung so widersprüchlich, dass ich gleich drei Tage geblieben bin. Die G.Farmer Bastelarbeit hab ich mir nur angeschaut, weil die Schlange nur 4 Personen umfasste, ansonsten hätte ich den Raum einfach ignoriert, weil die Wartezeit sonst immer mit 45 min angegeben war. Hm, eigemtlich hätte ich auch ein Foto von der Warteschlange machen sollen, alle erzählten, dass man ewig hätte anstehen müssen :-)

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  6. Die Die G.Farmer "Bastelarbeit" (schöne Beschreibung) wollten wir unbedingt sehen. Stand dann ein Schild "40 Minuten Wartezeit" -weil wir vorher schon so viel angeschaut hatten, dachte wir es wäre ja ganz gut um unsere Augen und unseren Schädel auszuruhen einfach mal zu warten. Haben dann aber nicht mal 10 Minuten gewartet. Das Schild war wohl nur zur Abschreckung gedacht...

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